Veröffentlicht in „Exantas“ im Dezember 2014.

 

Der Artikel auf Griechisch nebenan mit dem Titel „Der Staffellauf der Niederträchtigkeit“ ist an die Griechen adressiert und versucht, ihnen ihre Schuld an der Krise bewusst zu machen. Es gibt aber eine Kehrseite der Medaille. Deswegen ein Kontrast in deutscher Sprache an dieser Stelle :

Mag sein, dass die Griechen selbst die Hauptschuld an der Misere in Griechenland tragen, weil ihr sozioökonomisches Modell längst überholt war. Es gibt aber auch eine gesamteuropäische Verantwortung dafür. Man wusste sehr gut über den Zustand der griechischen Wirtschaft und Gesellschaft Bescheid, als man Griechenland nach dem Sturz der Diktatur in den 70er Jahren in die EG aufgenommen hat. Vielen Griechen hatte es damals gedämmert, dass sowohl die Diktatur als auch die Zypern-Tragödie Produkte der einseitigen Westorientierung waren und als Mittel dagegen wollte man nun das Land in die europäischen Institutionen einbinden. Ebenfalls war man ziemlich sicher bei der Aufnahme Griechenlands in die Eurozone, was die Griechen mit dem Geld, das sie sich nunmehr leicht von den Märkten leihen konnten, machen würden, nämlich dass sie Konsumgüter und Waffensysteme in den Industrieländern kaufen und es dort ausgeben würden.

Mag sein, dass die Offenbarungen der griechischen Regierung über die statistischen Zahlen im Jahr 2009 das Misstrauen der Märkte ausgelöst haben, in der folgenden Zeit hat aber zweifelsohne ein krimineller Angriff mächtiger Finanzkreise auf Griechenland (und damit auf den Euro) stattgefunden, der wenig mit den Wirtschaftsdaten zu tun hatte. Und es mag ebenfalls sein, dass die Regierungen der europäischen Partner Angst vor der Reaktion der Märkte haben, hier gab es aber auch ein gewisses Zusammenspiel von beiden zu Lasten Griechenlands und zur Rettung europäischer Banken.

Mag sein, dass die Schuld für die Krise in erster Linie bei den Griechen liegt, dies wurde aber als Vorwand genutzt, damit sich Europa seiner Bindungen aus den schönen Verträgen über Menschenrechte, sozioökonomische Rechte und internationale Solidarität entledigt, die es kurz vor der Krise mit dem Vertrag von Lissabon übernommen hatte.

Mag sein, dass es Phänomene der ökonomischen Liederlichkeit und Korruption in Griechenland gab, dies wurde aber speziell von deutschen Medien und Politikern ausgeschlachtet, um eine gigantische Propagandakulisse aufzubauen und gegen ein ganzes Volk zu hetzen. So wurde die Unterwerfung Griechenlands unter die Justiz des IWF und die Sparmaßnahmen der Troika gerechtfertigt. Vor allem aber wurde die griechische Schuld zur Ablenkung von der Tatsache benutzt, dass Deutschland mit der rohen neo-liberalen Lösung des Problems enorme Gewinne aus der Eurokrise zieht und nach zwei verlorenen Weltkriegen wieder zu der führenden Macht des Kontinents wird.

Mag sein, dass es an der Zeit war, das griechische sozio-ökonomische Modell zu korrigieren, dies hätte aber, sowohl aus Gründen der ökonomischen Vernunft als auch aus Solidaritätsgründen, etwas langsamer passieren können, so dass die Griechen mehr Zeit zur Anpassung hätten, auch wenn dies einen größeren Finanzierungsbedarf für eine Weile bedeuten würde.

Mag sein, dass eine Schock-Therapie vorgezogen wurde, man hätte aber erkennen müssen, dass der Umfang der „Kollateralschäden“ längst die Grenzen des Annehmbaren gesprengt hat. In Griechenland sterben Tausende von Menschen, weil es an Medikamenten innerhalb und außerhalb der Krankenhäuser mangelt, eine ganze Generation von Arbeitnehmern müssen mit 300 Euro im Monat und Rentner mit 500 Euro auskommen, viele verlieren ihr Haus wegen der Überbesteuerung usw. All dies passiert mit Absicht oder bestenfalls aufgrund grober Fahrlässigkeit der Troika und damit auch der europäischen Organe (s. den zugegebenen Multiplikations-„Fehler“ bei der Berechnung des Rezessionseffektes durch die Sparmaßnahmen). In derselben Zeit beweihräuchert die EU sich selbst als vorbildliches Sozial- und Friedensmodell auf der Welt.

Und mag sein, dass die Griechen die eine Seite nicht sehen wollen, die Deutschen verschließen aber auch gerne die Augen vor der anderen.