Dieses Interview wurde in der Berliner Zeitung „Der Nordberliner“ am 16.05.2013 gedruckt. Es wird hier mit der freundlichen Genehmigung der Redaktion der Zeitung veröffentlicht.

Hellenen erzählen über das Leben, Musizieren und Arbeiten in Berlin

LÜBARS/BERLIN. Die Griechen waren im vergangenen Jahr vor allem wegen der Krise in ihrem eigenen Land auch in Reinickendorf häufig Gesprächsthema Nummer 1. Und dies blieb vor allem den hier lebenden Griechen nicht verborgen. Wie sie hier in Deutschland die Griechenland-Krise erleben, ob sie sich integriert und wohl fühlen und wie sie den Reinickendorferinnen und Reinickendorfern ihre Griechische Kultur und Musik näher bringen, verraten Kostas Dimakopoulos, Jurist und Politologe, der seit den 80er Jahren mit einer Lübarserin verheiratet ist, und Aris Meliadis, Chorleiter des deutsch-griechischen Chors Polyphonia. Auch beim Interview: Armin Emrich, einer der Programm-Macher des LabSaals. Er hat nicht nur durchs Griechisch-Lernen eine enge Beziehung zu Griechenland aufgebaut, sondern veranstaltet nun bereits zum zweiten Mal ein Konzert von Polyphonia im LabSaal, Alt-Lübars 8.

Herr Emrich, was hat Sie dazu veranlasst, dass der deutsch-griechische Chor im LabSaal auftritt?

A. Emrich: Nun ja, zum einen bin ich Griechenland und den Griechen wohlgesonnen, zum anderen glaube ich, dass man mit jeder Art von Kulturarbeit Grenzen und Vorurteile aufweichen kann. Das Konzert von Polyphonia, das es 2012 schon einmal gegeben hat, soll einerseits den Leuten einfach nur Freude bereiten, andererseits aber auch auf das gute Zusammenleben von Griechen und Deutschen hinweisen.

Ist es denn ein gutes Zusammenleben? Wie erleben Sie das, Herr Dimakopoulos?
K. Dimakopoulos: Ich komme aus Piräus und habe inzwischen in Lübars meine zweite Heimat gefunden. Meine Frau ist Deutsche und unsere vier Kinder haben beide Staatsangehörigkeiten; wir sind eine bilinguale und auch eine bikulturelle Familie. Ich habe an der Freien Universität bei den Juristen als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Recht und Politik gearbeitet.

Fühlen Sie sich mehr als Grieche oder als Berliner?
K. Dimakopoulos: Ich würde sagen, ich fühle mich als Kosmopolit und bin in beiden Kulturen gut verwurzelt. Unsere Kinder sind ganz natürlich auch in der griechischen Sprache und Kultur aufgewachsen, obwohl Deutsch, der Umgebung geschuldet, die starke Sprache und Kultur ist. Es gibt so um die 10.000 Griechen in Berlin und die sind ein gelungenes Beispiel für Integration. Sie sind aufgeschlossen gegenüber der deutschen Umgebung, und es gibt viele Beispiele für eine gute Zusammenarbeit. Eins davon ist der deutsch-griechischer Chor Polyphonia.

Herr Meliadis, woher kommen Sie und seit wann leben Sie in Deutschland?
A. Meliadis: Ich komme aus dem Norden Griechenlands, aus Katerini bei Thessaloniki. Ich bin seit 1981 in Deutschland und unterrichte an der deutsch-griechischen Europaschule in Steglitz Musik, arbeite aber auch als Deutschlehrer. Aber seit der Gründung des Chores Polyphonia im März 2009 bin ich dort auch als Chorleiter tätig.

Was ist das Besondere an diesem Chor?
A. Meliadis: Das Besondere ist die Mischung der Teilnehmer. Etwa die Hälfte von ihnen sind Deutsche, die andere Hälfte Griechen. Und dann macht z.B. auch noch eine Frau aus Polen bei uns mit. Wir singen bei verschiedenen Anlässen, in Kirchen, Kulturzentren, Erinnerungsorten. Am 21. April 2013 sangen wir z.B. in dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück.
Wir haben das griechische Liedgut im Fokus und wir wollen das Volksgut aus der Heimat bewahren und fortführen.

Wie erleben Sie die Berliner, wenn sie auf Sie als Griechen treffen? Und macht sich die Krisenproblematik bemerkbar in dieser Hinsicht?
A. Meliadis: Wenn ich mich mit Bekannten und Freunden in meinem Umfeld unterhalte, dann bemerke ich schon, dass die Leute die Entwicklung in Griechenland als sehr unangenehm empfinden und sich Sorgen machen auch über die Zukunft in Deutschland. Aber allgemein wird die Krise meiner Ansicht nach nicht ausreichend differenziert betrachtet. Die Leute sind nicht richtig informiert, was wirklich in Griechenland abläuft.

Was läuft denn Ihrer Ansicht nach dort wirklich ab?
A. Meliadis: Meiner Meinung nach prallen dort viele große Interessen auf einander, und das Opfer ist das Volk. Natürlich hat auch das Volk Verantwortung für die Krise. Aber es ist wie überall: Den Preis zahlen die Schwachen und Kleinen, obwohl sie nicht die Hauptverantwortlichen sind.

Herr Dimakopoulos, was denken die Berliner Griechen über die Krise, die ja zum großen Teil eine Griechenland-Krise ist?
K. Dimakopoulos: Es gibt natürlich nicht „Die Griechen“, so wie es nicht „Die Deutschen“ gibt, die alle gleich über die Krise denken würden. Wenn man aber ein wenig generalisieren wollte, dann pendeln die Berliner Griechen zwischen zwei Denkansätzen, die gleichzeitig auch zwei emotionale Pole sind: Einerseits wissen sie sehr gut, dass vieles in Griechenland geändert werden muss – die Verschwendung, Vetternwirtschaft, Korruption, Steuerhinterziehung. Denn diese Übel haben unter anderem auch die Berliner Griechen zu Arbeitsmigranten gemacht und haben Griechenland an den Rand des Abgrunds gebracht. Andererseits sind die Berliner Griechen verbittert, wenn sie sehen, wie man hierzulande noch vor ein paar Monaten eine Droh- und Propagandakulisse gegen die Griechen und Griechenland im allgemeinen aufgebaut hat – was manchmal an Volkshetze grenzte. Diese Propagandakulisse beinhaltet falsche Behauptungen („die Griechen arbeiten zu wenig und haben zu viele Feiertage“, „sie gehen zu früh in Rente“ usw.), pauschale Beschimpfungen („Griechenland, eine korrupte Nation“, „Ramsch-Status“ usw.), eine allgemeine Verächtlichmachung (es werden „Griechen-Witze“ erzählt). Dass Griechenland von der Mutter der Europäischen Demokratie über Nacht zu einer Hure am Pranger geworden ist, ist sehr bitter. Aber man muss zugeben, in der letzten Zeit wurde diese Schimpfkanonade deutlich zurückgefahren.

Herr Emrich, der deutsch-griechische Chor Polyphonia tritt bereits zum zweiten Mal im LabSaal auf. Was ist Ihre Intention, den Chor und somit das griechische Liedgut und die griechische Kultur hier ein zweites Mal zu präsentieren?
A. Emrich: Wir wollen, dass der Chor zum einen aus kulturpolitischen Gründen auftritt, denn unser Publikum ist aufgeschlossen und für gesellschaftspolitische Akzente durchaus begeisterungsfähig. Andererseits ist es aber auch rein künstlerisch so, dass der Chor mit bis zu 40 Sängerinnen und Sängern wunderbar in diesen Saal passt. Die Zuschauer waren beim letzten Konzert des Chores so begeistert, dass sie nach Ende sogar noch zu Bouzoukiklängen getanzt haben.

 

Herr Emrich, Herr Meliadis und Herr Dimakopoulos, ich danke Ihnen für das Gespräch (Das Interview führte NORD-BERLINER-Chefredakteurin Christiane Flechtner).