Veröffentlicht in der elektronischen Ausgabe der Zeitschrift „NovoArgumente“ im Februar 2012 und in „Exantas“ im Juni 2012
Griechenland befindet sich heute nur noch einen Atemzug von der großen Katastrophe entfernt, ein ungeordneter Bankrott ist sehr wahrscheinlich und der Austritt aus dem Euro wäre keine große Überraschung. Wie ist es so weit gekommen?
Ich beziffere die Schuld der Griechen an der griechischen Krise auf 90%, d.h. die Griechen, was auch immer diese Pauschalisierung bedeutet, sind selber hauptverantwortlich für die Misere, die ihnen widerfährt – keine Frage.
Es gibt aber eine gesamteuropäische Verantwortung für die restlichen 10%. Denn, erstens, war der Euro zu einseitig konzipiert, alles einem üblen Monetarismus überlassen worden. Zweitens wussten die Herrschenden in Europa aller Wahrscheinlichkeit nach, wie es mit der griechischen Wirtschaft bestellt war und wie die griechischen Daten zum Eurobeitritt zustande kamen und sie duldeten sie, weil die billigen Kredite und die Subventionen, die das Land dadurch genoss, zurück nach Deutschland, Frankreich, Holland usw. flossen, um den Kauf von Konsumgütern und Waffensystemen zu finanzieren. Drittens sind die Leistungsbilanzüberschüsse des einen (Deutschland) immer die Leistungsbilanzdefizite des anderen (Griechenland). Keiner kann also behaupten, er war ahnungslos und unschuldig.
Was den mit 90% angegebenen ersten Posten betrifft, bitte ich um Milde, was den auf 10% bezifferten zweiten, um Gerechtigkeit für Griechenland.
Es gibt aber eine dritte Sichtweise der Krise, bei der die Unterscheidung in „eigene“ und in „fremde“ Schuld zu verblassen beginnt. Denn Griechenland ist nur die Spitze eines Eisberges.
Alle westlichen Länder haben in den vorigen Jahren Schulden gemacht, letztendlich um Sozialausgaben zu finanzieren und dadurch ihre formale Demokratie mit einer sozialstaatlichen Dimension zu versehen. Alle haben über ihre Verhältnisse gelebt und alle unterliegen heute der Willkür der anonymen Finanzmärkte, die wie ein römischer Imperator den Daumen über jedem einzelnen Gladiator-Land senken kann. Die Situation ist inzwischen so kompliziert, dass nicht nur der Euro und die EU, sondern die Demokratie in Europa in Gefahr ist. Nicht nur in Griechenland, sondern auch in Deutschland und im übrigen Europa gibt es ein Demokratiedefizit, da nicht das „souveräne Volk“, sondern die allmächtigen Finanzmärkte letztendlich entscheiden.
Ist es vielleicht nicht an der Zeit, den Demos, als gesamteuropäischen Demos, zu fragen, was ihm wichtiger ist: Das Gebaren der Geldinstitute oder die Rettung der Patria und zwar der kollektiven Patria Europa?
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