Veröffentlicht in „Exantas“ im Juni 2018.

 

Die „Solidarität Piräus“ («Αλληλεγγύη Πειραιά») ist eine griechische soziale Basis-Organisation, die zuerst von wenigen Menschen im Jahr 2012 in der griechischen Hafenstadt gegründet wurde, als sich die Krise deutlich bemerkbar machte und der Schatten der Arbeitslosigkeit auf tausende Familien fiel. Das Wort «Αλληλεγγύη» (“Solidarität“) verweist auf Griechisch auf die Bedeutung: „der Eine bürgt für den Anderen“ und geht etymologisch auf das altgriechische Wort «εγγύη» zurück: „etwas in die Hand geben“.

Die ursprüngliche Idee war, Lebensmittel und Kleider an Arbeitslose, Obdachlose und andere Bedürftige zu verteilen, die auf freiwilliger Basis gesammelt werden. Inzwischen aber ist das Konzept der Solidarität Piräus mit vielen neuen Ideen angereichert worden, welche die Tätigkeitsfelder der Organisation ausdehnten und den Horizont der möglichen Einwirkungen eines solidarischen Handelns in eine Gesellschaft der Krise deutlich erweiterten. Ich erwähne folgende Aktionen:

Viermal in der Woche werden selbstgekochte warme Mahlzeiten an Griechen und Ausländer, die in Not geraten sind, verteilt; es werden Kooperationen mit anderen griechischen solidarischen Organisationen praktiziert; eine solidarische Schule mit Nachhilfeangeboten, aber auch mit Fremdsprachenunterricht für alle, Kinder und Erwachsene, wurde gegründet; es begann eine Zusammenarbeit mit Bauern aus ganz Griechenland, die Erzeuger verschiedener Agrarprodukte sind, damit sie ihre Waren ohne Zwischenhändler in Piräus verkaufen können; momentan wird die Idee einer Zusammenarbeit mit zwei Kooperativen von Handwerkern, Tischlern und Näherinnen, mit dem Ziel geprüft, alte Möbel und Kleider umzuarbeiten (upcycling) und zu verkaufen. Und, last but not least, hatte die Solidarität Piräus die originelle Idee, eine eigene Währung zu schaffen, den „Porto“, der die Basis einer internen alternativen Tauschökonomie darstellt, und die Qualität aller oben genannten Tätigkeiten anhebt. Zum besseren Funktionieren hat die Solidarität Piräus die juristische Form der „AMKE“ („Nicht eigennützige Gesellschaft des bürgerlichen Rechts“) angenommen und ist damit in das Allgemeine Handelsregister der Industrie- und Handelskammer Piräus eingetragen worden.

Das sind die wichtigsten Bereiche der praktischen Tätigkeit der Solidarität Piräus, einer „bottom-up“- und keineswegs „top-down“- oder „NGO“- Einrichtung. Diese Praktiken werden durch verschiedene andere Aktionen ergänzt, wie z.B. Sammlung und Recycling von Papier, kostenlose Beratung durch kooperierende Rechtsanwälte, Steuerberater und Sozialarbeiter (Schwerpunkt ist die Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess) bis hin zu der Schaffung einer „Blutspenderbank“ in einem Krankenhaus von Piräus. Neue Ideen solidarischer Handlung sprudeln ständig in den Sitzungen des Sekretariats und die Entscheidungen werden absolut demokratisch getroffen. Gleichzeitig nimmt die Solidarität Piräus an verschiedenen sozialen Bewegungen teil, wie z.B. Unterstützung von Flüchtlingen, Bekämpfung von Rassismus und Beistand für die Menschen, die ihre Eigentumsheime durch die Banken verlieren. Die Solidarität Piräus zählt heute ca. 200 aktive Mitglieder, die in einer von zehn verschiedenen Arbeitsgruppen tätig sind, sie hat ein durchaus ausgeglichenes Budget von etwa 30.000 Euro im Jahr und sie sieht, trotz der großen ökonomischen Schwierigkeiten, optimistisch in die Zukunft. Sie sucht Kooperationen mit entsprechenden solidarischen Bemühungen im Inland und Ausland und akzeptiert gerne finanzielle oder materielle Hilfe auf der Basis des gegenseitigen Respekts (solidaritypeiraias@gmail.com).

Die zentrale Idee der Organisation ist, ihren Mitgliedern die Würde zurückzugeben, die in den Jahren der Krise und der Massenarbeitslosigkeit verloren gegangen ist, das Empfinden, dass sie irgendwohin gehören und die Passivität, die Einsamkeit und die begleitende Depression überwinden können, indem sie ihre gemeinsamen Probleme aktiv angehen und zusammen etwas dagegen tun. Sie betont das Gefühl der gegenseitigen Hilfe und nicht der Wohltätigkeit. Die Solidarität Piräus hat weder die Illusion, dass sie alle Probleme der Mitglieder einer gefährdeten Gruppe in der Zeit der Krise lösen kann, noch dass sie insgesamt ein alternatives gesellschaftliches Modell in einem Staat der EU anbieten kann. Dennoch können solche Experimente vielleicht eine Art „Hefe“ als soziales Treibmittel auch für die Zukunft bewahren, wenn die Krise, wie wir alle hoffen, auch in Griechenland überwunden sein wird.

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