Im Jahr 2023 ist Eleusis, griechisch Elefsis, die Nachbarstadt Athens seit der Antike, zur Kulturhauptstadt Europas gekürt worden. Eine Reihe von sehenswerten kulturellen Veranstaltungen werden dort während des ganzen Jahres 2023 in verschiedenen Orten der Stadt durchgeführt: Musikdarbietungen, Theater, Performance, Radiopodcasts, Spaziergänge usw. Die zentrale Kunstausstellung (mit Malerei, Bildhauerei, Fotografien, Videos, Installationen und vielem noch, was nicht in die herkömmliche Kategorisierung passt) von sechzehn griechischen und internationalen Künstlern aus neun Ländern wurde in der restaurierten „Alten Ölfabrik“ untergebracht, das nebenan liegende Theater der Aischylos-Dramen (eine Institution im heutigen Elefsis, der Geburtsstadt des großen antiken Tragödiendichters, die inzwischen mehrere Jahrzehnte zählt) zur Verfügung gestellt, der extrem wichtige lokale archäologische Ort miteinbezogen.

In Eleusis fanden in der Antike die „Eleusischen Mysterien“ statt, vielleicht das wichtigste religiöse Fest des antiken Griechenlands. Bis zu 30.000 Pilger wanderten jedes Jahr zwischen August und September in einer Prozession von Athen nach Eleusis auf der „Heiligen Straße“ hinter den Priestern, die Bilder von Dionysos hochhielten, und nahmen an den mehrtägigen Zeremonien teil. Diese waren seit uralten Zeiten in Erinnerung an eine mythische Erzählung eingerichtet: Die „Kore“ Persephone, Tochter der Göttin Demeter, die zuständig für die Fruchtbarkeit der Erde war, wurde durch den Gott und König der Totenwelt Pluton oder Hades geraubt. Tieftraurig befahl die Mutter der Erde, dass sie nichts mehr hervorbringt, was die Menschen ernähren könnte. Verhandlungen unter der Schirmherrschaft von Zeus und durch Vermittlung des pragmatischen Götterboten Hermes wurden aufgenommen und führten zum Ergebnis, dass Pluton seine Frau und nunmehr Königin der Unterwelt Persephone jedes Jahr nach dem Winter zu ihrer Mutter zurückschickte. Ein Drittel des Jahres lebte sie also bei ihm in der Erdtiefe, zwei Drittel bei ihrer Mutter auf der Erdoberfläche. Der symbolische Wert des Mythos ist enorm.

Auch bei den Eleusischen Mysterien ging es um das zentrale Thema aller Religionen, den Tod des Menschen und die Erlösung. Ausgewählte Jünglinge, die „Mysten“, wurden jedes Jahr in Eleusis nach einer rituellen Reinigung im Meer («ἅλαδε μύσται!» = hin zum Meer, Mysten!) in die Mysterien eingeweiht. Wir wissen nicht viel, was dort passierte, denn die Mysten standen unter dem Gelöbnis der absoluten Geheimhaltung (Mysterien, Mysten, Mystagogie, Mystik usw. kommt vom Verb myo = ich schließe die Augen, den Mund usw.), aber die Eingeweihten, obwohl ihnen keine Unsterblichkeit versprochen wurde, gingen einigermaßen fröhlich heraus und starben später mit einer Hoffnung. Die Eleusischen Mysterien fanden in dieser Form mindestens zehn Jahrhunderte statt. Sie wurden in der byzantinischer Zeit durch Kaiser Theodosius I. per Dekret verboten, und im Jahr 395 ist der Tempel zerstört worden. Der letzte legitime oberste Priester (Hierofantes) Nestorios verkündete „den Beginn der großen geistigen Nacht für die Menschheit“.

Hat nun das aufwendige moderne Fest „Eleusis, Kulturhauptstadt Europas 2023“ mit seinen vielen Veranstaltungen ein Band an die antiken „Eleusischen Mysterien“ anknüpfen können? Hat es als ganzjährige europäisch angelegte Feier Erfolg gehabt? Die Antwort auf die zweite Frage ist vielleicht ja, auf die erste eher nein.