In Griechenland läuft seit dem 20.4.2015 der Prozess gegen die Rechtsaußen-Partei „Goldene Morgenröte“ (G.M.). Sollte sie aufgrund des Artikels 187 des griechischen Strafgesetzbuchs als „kriminelle Vereinigung“ charakterisiert werden, drohen den führenden Köpfen der Partei bis zu zehn Jahre Haft und mehr. Es ist ein gewagtes Novum im europäischen Maßstab. Denn die G.M. ist die drittgrößte Partei des griechischen Parlaments, konstant hoch in der Wählergunst bei den letzten Wahlen (Januar 2015: 6,28%, September 2015: 6,99%, Europawahlen 2014: 9,40%). Ihre Abgeordneten wurden zuerst ohne die Genehmigung des Parlaments verhaftet und blieben bis zu 18 Monate im Gefängnis. Diese Abwesenheit riss Löcher in die Beschlussfähigkeit und die anderen Regularien des Parlaments. Zudem ist eine Reihe von juristischen Ungereimtheiten zu verzeichnen: Die G.M. gilt nicht als „terroristische Vereinigung“, ist aber auch keine „Mafia“, weil sie keine ökonomischen Ziele verfolgt, und ihre Eigenschaft als politische Partei im griechischen Parlament schützt sie nicht vor der Verfolgung. Zum Vergleich: § 129 Absatz 2 Nr. 1 des deutschen Strafgesetzbuches verbietet die Anwendung der Vorschriften über eine „kriminelle Vereinigung“, wenn es sich um eine politische Partei handelt, die das Bundesverfassungsgericht nicht vorher für verfassungswidrig erklärt hat („Parteienprivileg“). Selbst der Berichterstatter des dreiköpfigen höheren Richterrates, der die Verweisung an die Strafkammer mit 2:1 Mehrheit verfügt hat, hält eine Verfolgung aufgrund des Art. 187 für unrechtmäßig. Der Verlauf des Prozesses lässt rechtsstaatliche Standards missen, und linksextremistische Kreise haben schon mit zwei kaltblütigen Morden und einer schweren Körperverletzung Vergeltung gegen die G.M. ausgeübt. Was wir aber mit viel Aufwand nach dem Sturz der letzten Diktatur erreicht haben, darf nicht so leicht aufs Spiel gesetzt werden, und sei es gegen undemokratische Kräfte. Der Rechtsstaat und seine Garantien und der Schutz der politischen Rechte sind kein Luxus, den man bei Bedarf aushebeln kann, noch nicht einmal gegen die Feinde der Demokratie. Die Geschichte lehrt übrigens, dass die „streitbare Demokratie“ mit der Bekämpfung der Rechtsextremisten beginnt, um bei den Linksextremisten anzukommen – wen auch immer man dazu zählt.

Ist die juristische Lage prekär, gilt es umso mehr für die politische: Der Rechtspopulismus verdankt seinen kometenartigen Aufstieg in den sechs Jahren der Krise teilweise derselben populistischen Welle, wie der Linkspopulismus auch. Die zweite Ursache ist die Flüchtlingskrise, die in Griechenland besonders brisant ist. Dass ausgerechnet dort dieses Experiment mit dem rechten Rand der politischen Landschaft gemacht wird, in einem Land nämlich, dessen jüngere Geschichte von Bürgerkrieg, Putsch und Diktatur gekennzeichnet ist, und dessen aktueller Politikverlauf eine Gradwanderung am Rande des staatlichen Zusammenbruchs und der Implodierung der Gesellschaft darstellt, mag einerseits für viele plausibel erscheinen, gießt aber andererseits Öl ins Feuer. Das Experiment ist eher eine Garantie für künftige Bürgerkriege als für die Beruhigung des Landes.

Vor der Krise gab es in Griechenland keine Faschisten, ihr Anteil lag konstant bei 0,2- 0,4%. Statt also schulmeisterlich von den Griechen zu verlangen, „kurzen Prozess“ mit den Rechten zu machen, selbst wenn sie die dritte Kraft des Parlaments darstellen, und selbst, wenn dies rechtsstaatliche Prinzipien kostet, die man im eigenen Land nicht zu opfern bereit ist, sollte man in Deutschland daran denken, durch eine Lockerung der harten Sparmaßnahmen, einen Schuldenerlass oder die Zahlung der Reparationsschulden dazu beizutragen, den rechtsextremen Einfluss auf die griechische Gesellschaft auf friedliche Weise einzudämmen. Ähnlich sollte man bei der Flüchtlingskrise die Grenzen Griechenlands, so wie sie international garantiert sind, gesamteuropäisch schützen und die Flüchtlinge ohne den üblen Trick „Dublin II“ gerecht verteilen. Denn, wenn es richtig ist, dass man eine gewaltbereite rechte Partei mit politischen und auch mit juristischen Mitteln bekämpfen muss, sollte man dennoch die Ursachen ihres Erfolges nicht aus den Augen verlieren.

K.D.